Gefährdeter Gartenschläfer: Umfangreiche Erbgutanalyse trägt zum Schutz der Art bei
Um gefährdete und vom Aussterben bedrohte Tierarten nachhaltig schützen zu können, bedarf es passgenauer Strategien im Naturschutzmanagement. Eine immer größere Rolle spielen dabei Informationen, die aus genomischen Daten gewonnen werden, denn aus dem Erbgut lassen sich historische Populationsgrößen rekonstruieren und aktuelle Bestandstrends sowie Hinweise auf die Anpassungsfähigkeit der Art ablesen. In einer neuen Studie stellen Wissenschaftler*innen des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG), angesiedelt bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, und weiterer Institutionen nun ein hochauflösendes Referenzgenom für den bedrohten Gartenschläfer (Eliomys quercinus) vor. Die daraus abgeleiteten Informationen geben Aufschluss über seinen dramatischen Populationsrückgang und liefern wichtige Erkenntnisse für Erhaltungsstrategien in Europa.
An seiner auffälligen Fellmusterung ist der Gartenschläfer gut zu erkennen – wie eine „Zorro-Maske“ zieht sich ein schwarzer Streifen von den Augen bis zu den langen Ohren. Dass das kleine Nagetier aus der Familie der Bilche, zu der auch die Haselmaus und der Siebenschläfer zählen, dennoch selten zu sehen ist, liegt zum einen daran, dass der Gartenschläfer nachtaktiv ist und einen langen Winterschlaf hält. Zum anderen hat sich sein Verbreitungsgebiet in den vergangenen 30 Jahren fast halbiert. So sind etwa in Ostdeutschland nahezu alle Bestände ausgestorben. Auf der Roten Liste Deutschlands wird der Gartenschläfer daher als „stark gefährdet“ eingestuft. Außerdem ist er eine sogenannte „Verantwortungsart“: Da sich ein erheblicher Teil seines weltweiten Vorkommens in Deutschland befindet, hat sein Schutz eine besondere Priorität.
Um die Gründe für diesen erheblichen Rückgang ausfindig zu machen, läuft seit Ende 2018 im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt das Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“. Es wird vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung durchgeführt und vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert.
Im Kontext des Projekts wurde nun auch das Erbgut des Gartenschläfers in den Laboren des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) in Kooperation mit dem Labordiagnostik-Unternehmen Bioscientia, dort unter der Leitung von Prof. Dr. med. Hanno Jörn Bolz, sequenziert. „Dank modernster Sequenzierungsmethoden konnten wir in kurzer Zeit ein hochqualitatives Referenzgenom für den Gartenschläfer erstellen, das nun für die weitere Forschung genutzt werden kann“, berichtet Studienleiter Michael Hiller, Professor für Vergleichende Genomik bei Senckenberg sowie an der Goethe-Universität Frankfurt und Sprecher von LOEWE-TBG. „Diese und weitere genomische Daten von zahlreichen Proben aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Art, die von Kolleg*innen und Bürgerwissenschaftler*innen gesammelt wurden, zeigen, dass sich der Gartenschläfer nicht gut an das kältere Klima der letzten Kaltzeit anpassen konnte, die vor etwas mehr als 10.000 Jahren endete. Die Bestände dezimierten sich zu dieser Zeit erheblich, was zu einem starken Verlust an genetischer Vielfalt führte“, so Hiller weiter.
Erstaunt sind die Wissenschaftler*innen über das Ausmaß der genetischen Unterschiede zwischen den Gartenschläfern nördlich und südlich des Alpenhauptkammes. „Mit unseren Ergebnissen können wir den Verdacht bisheriger Studien untermauern, dass wir es möglicherweise mit zwei unterschiedlichen Arten zu tun haben. Dies stellt bei den eigentlich sehr gut erforschten Säugetieren mitten in Europa eine kleine Sensation dar!“, betont die Erstautorin der Studie, Dr. Paige Byerly, Naturschutzgenetikerin am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main, Standort Gelnhausen. Bis zur Klärung dieser Frage dient die im Projekt erfolgte genomische Abgrenzung genetisch klar getrennter Teilbestände als wichtige Grundlage für den Artenschutz. „Die Daten geben Auskunft darüber, welche Populationen genetisch einzigartig sind und möglicherweise besondere Anpassungen an spezifische Umweltbedingungen entwickelt haben. Arten mit einer hohen genetischen Vielfalt sind besser gegen die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen gewappnet und haben damit eine höhere Überlebenschance“, erläutert Byerly.
„Unsere Studie zeigt, wie wichtig genomische Daten und Analysen sind, um die genetische Vielfalt von Arten zu bewerten und zu effektiven Erhaltungsmaßnahmen beizutragen“, betont Hiller. „Wir hoffen sehr, dass der als ‚Wildtier des Jahres 2023‘ gewählte Gartenschläfer künftig auch in weiteren Teilen Deutschlands und Europas wieder in unsere Wälder, Streuobstwiesen und Gärten zurückkehrt!“
Im Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ untersuchte der BUND gemeinsam mit der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung die Frage, warum der Gartenschläfer in kurzer Zeit aus immer mehr Regionen verschwindet. Auf Grundlage dieser Informationen wurden anschließen passende Schutzmaßnahmen umgesetzt. Das Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert.
Mehr unter: https://www.bfn.de/projektsteckbriefe/spurensuche-gartenschlaefer und https://www.gartenschlaefer.de