Klimawandel in der Nordsee: Austernriffe als Küstenschutz?
Riffe der Pazifischen Auster können dem prognostizierten Meeresspiegelanstieg der Nordsee trotzen und als Wellenbrecher dienen
Der Klimawandel und der steigende Meeresspiegel gelten als Gefahr für die Nordseeküste und insbesondere das Wattenmeer. Forscher von Senckenberg am Meer haben nun gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universitäten Braunschweig und Hannover die Wachstumsraten von Riffen der Pazifischen Auster und deren Eignung als natürliche Wellenbrecher untersucht. Die nicht-heimische Muschelart hat die bisherigen Miesmuschelbänke in der Nordsee fast vollständig durch Riffe ersetzt, die zum Küstenschutz beitragen könnten. Die im Fachjournal „Ecology and Evolution“ veröffentlichte Studie zeigt, dass die Austernriffe mit einem mittleren Wachstum von bis zu 19,8 Millimetern pro Jahr dem Meeresspiegelanstieg entgegenstehen könnten. Das Wachstum der Riffe hängt dabei stark von Witterungsbedingungen und dem zahlenmäßigen Auftreten der Austern ab.
Die Nordsee, welche an die flach liegenden Küsten Deutschlands, der Niederlande und Dänemarks grenzt, ist bereits heute anfällig für Sturmfluten. Der in Folge der globalen Erwärmung steigende Meeresspiegel erhöht das Risiko von Überschwemmungen und Erosion entlang der Küste. Insbesondere das Wattenmeer, ein einzigartiges Ökosystem, steht unter Druck. „Projektionen für die trilaterale Wattenmeer-Region sagen bis zum Jahr 2100 einen Anstieg der Lufttemperatur zwischen 0,9 und 4,8 Grad Celsius voraus. Der Anstieg der Lufttemperatur wird sich stark auf die küstennahen Wassermassen in dem Gebiet auswirken, wobei eine Steigerung der Wassertemperatur in einer ähnlichen Größenordnung – von 1 bis 5 Grad Celsius – erwartet wird. Diese Erwärmung begünstigt auch die Verbreitung nicht-heimischer Arten, die sich aufgrund der steigenden Temperaturen zunehmend in der Nordsee wohlfühlen“, erklärt Kai Pfennings, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven.
Pfennings hat mit Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Achim Wehrmann und Forscher*innen der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität Braunschweig die Auswirkungen eines steigenden Meeresspiegels auf Riffstrukturen der Pazifischen Auster (Magallana gigas) untersucht. Die Austernart wurde Mitte des letzten Jahrhunderts zu Aquakulturzwecken durch den Menschen in die Nordsee eingeführt und hat sich unkontrolliert verbreitet. Fast jede heimische Miesmuschelbank im Wattenmeer der Nordsee wurde seit der Einfuhr in ein Austernriff umgewandelt. „Die riesigen Riffstrukturen von bis zu 22 Hektar und das Vorkommen in der Nordsee sind ein Paradebeispiel dafür, wie der anthropogene Einfluss, in diesem Fall das unbedachte Einbringen einer nicht-heimischen, ökosystemgestaltenden Art, ganze Ökosysteme irreversibel verändern kann“, so Pfennings und weiter: „Dennoch dienen die Austernriffe heute für eine Vielzahl von Tieren als Habitat, so auch der heimischen Miesmuschel; sie sind Fischkinderstube und Schadstoffsenke. Zudem könnten die Riffe für den Küstenschutz nützlich sein, da sie mit ihrer hohen Widerstandsfähigkeit gegen hydromechanische Belastungen als natürliche Wellenbrecher dienen.“
Mittels 3D-terrestrischen Laserscannings hat das Forschungsteam rund um Pfennings untersucht, wie hoch die saisonalen Wachstumsraten der Austernriffe sind und ob diese dem prognostizierten Meeresspiegelanstieg standhalten könnten. Dabei wurden zwei, in der Gezeitenzone des zentralen Wattenmeeres liegende Austernriffe – das Kaiserbalje-Riff und das Nordland-Riff – halbjährlich in einem Zeitraum von drei Jahren unter die Lupe genommen und vermessen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Riffwachstumsraten dem lokalen Meeresspiegelanstieg standhalten könnten – ähnlich wie bei Austernriffen an der US-Ostküste und in der südlichen Nordsee. Das mittlere Riffwachstum liegt bei 19,8 Millimetern pro Jahr am Kaiserbalje-Riff und jährlich 17,5 Millimetern am Nordland-Riff“, ergänzt der Wilhelmshavener Meeresforscher.
Zusätzlich zeigen die Wissenschaftler*innen in der neuen Studie, dass die saisonalen Wachstumsraten der Riffe eng mit der Wachstumsaktivität der Austern verknüpft sind und stark von der Anzahl der Muscheln abhängen. Diese seien wiederum durch vergangene Witterungsbedingungen und Wetteranomalien beeinflusst – so führte zum Beispiel die Hitzewelle von 2018 zu einem starken Austernlarvenfall, was wiederum das Riffwachstum 2021 beeinflusste.
„Unsere Ergebnisse können dazu beitragen, besser zu verstehen, wie sich diese Riffe im Hinblick auf den Meeresspiegelanstieg und den Klimawandel verhalten. Auch vor dem Hintergrund eines effektiven und natürlichen Schutzes der Küste – und letztlich für uns Menschen“, schließt Pfennings.
Die Studie ist im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes BIVA-WATT entstanden.