Brasilianischer Regenwald 2050: Frösche oder Immobilien?
Globaler Klimawandel und wirtschaftliche Interessen wirken sich negativ auf die Amphibienvielfalt im brasilianischen Regenwald aus
Senckenberg-Forschende haben gemeinsam mit einem brasilianisch-deutschen Team die Auswirkungen des Klimawandels auf die taxonomische und funktionale Diversität von Amphibien in der „Mata Atlântica“ untersucht. Der Regenwald an der Ostküste Südamerikas zählt zu den am stärksten bedrohten tropischen Waldgebieten und beherbergt über 50 Prozent der in Brasilien vorkommenden Amphibienarten. Die Wissenschaftler*innen zeigen in ihrer heute im Fachjournal „Perspectives in Ecology and Conservation“ veröffentlichten Studie, dass selbst eine moderate Entwicklung des Klimawandels enorme Auswirkungen auf die zukünftige Amphibienvielfalt hat – zusätzlich geraten Frosch und Co. durch wirtschaftliche Interessen in Bedrängnis.
Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich weltweit bemerkbar: Waldbrände, trockenfallende Gewässer oder Extremwetterereignisse sind an der Tagesordnung. „In unserer neuesten Studie haben wir untersucht wie sich der Klimawandel zukünftig auf die Amphibienwelt der ‚Mata Atlântica‘, eines der am stärksten bedrohten tropischen Waldgebiete, auswirkt“, erklärt PD Dr. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „Amphibien sind in hohem Maß abhängig von bestimmten mikroklimatischen Parametern und besetzen sehr unterschiedliche ökologische Nischen. Sie sind daher ideale Modellorganismen, um die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels auf die biologische Vielfalt zu untersuchen.“
Der Atlantische Regenwald an der Ostküste Brasiliens steht unter massivem Druck, welcher in den letzten Jahrzehnten zu einer beispiellosen Entwaldung und Degradierung geführt hat. Ursprünglich bedeckte die „Mata Atlântica“ eine Fläche von etwa 150 Millionen Hektar und erstreckte sich vom Süden bis zum Nordosten Brasiliens. Neben dichten Wäldern finden sich in dem Gebiet auch offene Bereiche wie Lichtungen, Felder, Sümpfe und Teiche. „Gegenwärtig sind nur noch 12 bis 16 Prozent des ursprünglichen Ökosystems vorhanden, das zudem stark fragmentiert ist. Dennoch beherbergt dieser Lebensraum fast 20 Prozent aller bekannten südamerikanischen und über 50 Prozent der in Brasilien vorkommenden Amphibienarten“, erläutert Dr. Paula Ribeiro Anunciação, Erstautorin der Studie an der brasilianischen Universität Federal de Lavras. Ribeiro Anunciação hat im Rahmen eines zweijährigen, von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderten „Research Fellowships“ gemeinsam mit Ernst und weiteren Forschenden die Zukunft von Amphibien, Vögeln und Dungkäfern – ökologisch bedeutsame Indikatorgruppen – im Untersuchungsgebiet in den Blick genommen. Für Amphibien untersuchte das Team je zwei Szenarien für deren Entwicklung bis zu den Jahren 2050 und 2070: Das Szenario RCP 4.5 des Weltklimarats (IPCC) rechnet mit einem gemäßigten Klimawandel, RCP 8.5 geht dagegen von einer weitgehend ungebremsten Erwärmung aus.
„Für beide Szenarien und Zeiträume sehen wir zukünftig einen signifikanten Rückgang sowohl der taxonomischen als auch der funktionalen Amphibienvielfalt – das heißt wir werden nicht nur einzelne Arten unwiederbringlich verlieren, sondern auch das gesamte Ökosystem wird sich verändern“, so Ernst. Laut den Modellergebnissen sind hiervon sowohl Arten betroffen, die sich in geschlossenen Wäldern wohlfühlen, als auch Tiere, die Offenland bevorzugen.
Einzig in der östlichen Küstenregion und in hochgelegenen Lebensräumen sei davon auszugehen, dass die ursprüngliche Vielfalt bei Frosch und Co. – trotz Klimawandel – in großen Teilen erhalten bleibt. „Genau diese Gebiete stehen aber – aufgrund ihrer Nähe zu den am besten entwickelten städtischen und industriellen Standorten Brasiliens – im Zentrum aktueller Immobilienspekulationen“, warnt der Dresdner Herpetologe und fährt fort: „Es reicht daher nicht, solche Biodiversitätsrefugien zu identifizieren und dann zu hoffen, dass diese zur langfristigen Erhaltung von biologischer Vielfalt in Zeiten des globalen Klimawandels beitragen. Vielmehr ist es wichtig, die Ursachen – also den Klimawandel als solchen – nachhaltig und wirksam zu bekämpfen. Nur so können wir auch das einzigartige Ökosystem und die Amphibienvielfalt der ‚Mata Atlântica‘ bewahren!“