„Erklärung von Kunming“: Senckenberg-Generaldirektor fordert mehr Mut von der Politik
Frankfurt, 18.10.2021. Vertreter*innen von mehr als hundert Nationen haben am Mittwoch in der „Erklärung von Kunming“ größere Anstrengungen beim Schutz der Artenvielfalt angekündigt. Der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Prof. Klement Tockner, begrüßt die Deklaration – mahnt allerdings, dass Politiker*innen bei der Umsetzung mutigere Entscheidungen als bisher treffen müssten. Nur so könne es echte Fortschritte im Kampf gegen das Artensterben geben.
Die Erklärung wurde auf der 15. UN-Biodiversitätskonferenz im chinesischen Kunming verabschiedet, stellt aber noch keine rechtlich bindende Vereinbarung dar. Darin heißt es, man wolle einen „wirksamen globalen Rahmen“ schaffen, um den Verlust der biologischen Vielfalt umzukehren und eine Phase der Erholung einzuleiten. Umweltverbände kritisieren die Deklaration als zu vage. „Globale Ziele stehen und fallen mit den nationalen Umsetzungen“, betont auch Klement Tockner. Er erinnert daran, dass sowohl beim Kampf gegen den Klimawandel als auch zur Rettung der Artenvielfalt schon öfters große politische Ziele gesetzt, aber reihenweise verfehlt wurden. „Mit beidem, der Erderwärmung und dem Artensterben, geht es ungebremst weiter – warum? Ein Grund aus meiner Sicht ist, dass wir mit der Vielschichtigkeit der Herausforderung nur schwer umgehen können“, so Tockner. Und es fehle an politischem Mut und an Weitsicht.
Ein großes Problem seien etwa Subventionen, die Anreize für ein umweltschädliches Vorgehen in den Energie- und Verkehrssektoren sowie in Land- und Forstwirtschaft setzten statt für den Schutz unseres wertvollen Naturkapitals. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts fließen allein in Deutschland jedes Jahr rund 57 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen. Öffentliche Mittel müssen der Förderung des Gemeinwohls dienen, so Tockner, und sollten nicht die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen vorantreiben. Dieser Punkt findet sich auch in einer Sammlung von Handlungsempfehlungen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Deutschland zum Thema Artenvielfalt, die neben Klement Tockner mehr als 170 Wissenschaftler*innen mitunterzeichnet haben. Es wird darin ebenfalls ein konsequenter Abbau „biodiversitätsschädigender Subventionen“ gefordert. In Industrie und Landwirtschaft gebe es genau wie in der ganzen Gesellschaft ein schnell wachsendes Verantwortungsbewusstsein für die künftigen Generationen, meint Tockner. Das sehe man beispielsweise an den beabsichtigten Investitionen in nachhaltige Lösungen. Diese hohe Bereitschaft zur Veränderung gelte es nun zu nutzen und zum Ausgangspunkt für umweltfreundlichere politische Vorgaben zu machen.
Den Verlust der biologischen Vielfalt bezeichnet der Gewässerökologe als „die größte globale Herausforderung, vor der wir stehen“. Denn zum einen wisse die Forschung noch nicht, welche dramatische Folgen der ungebremste Rückgang der Artenvielfalt für die Menschheit haben wird. Zum anderen gelte bei der Biodiversität: „Einmal verloren, immer verloren!“ – ausgestorbene Arten und ihre Funktionen in einem Ökosystem ließen sich nicht einfach zurückholen. Bis Ende des Jahrhunderts könnte laut Schätzungen die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten auf der Erde unwiederbringlich verloren gehen.
„Wir können es uns nicht leisten, nur auf Graswurzelbewegungen zu setzen oder darauf zu warten, dass jeder Einzelne umweltfreundlichere Entscheidungen trifft. Es braucht einen Umsetzungswillen seitens der Politiker*innen. Die Zeit drängt, wir müssen jetzt handeln!“, sagt Tockner. In diesem Zusammenhang bemängelte er auch das kaum vorhandene Interesse der nationalen Medien an der UN-Biodiversitätskonferenz. „Bilder haben eine große Macht. Sie können Menschen zum Umdenken bewegen“, so der Ökologe. Vor diesem Hintergrund wünsche er sich eine der Tragweite angemessene öffentliche Beachtung für dieses zentrale Treffen der Staatengemeinschaft.